Zum Begriff Empathie

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Zum Begriff Empathie

Es geht um Einfühlung in Menschen, ihre Freuden und Leiden. Der Notwendigkeit, sich in andere einzufühlen, liegt einmal die grundsätzliche Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung sowie die Tatsache zu Grunde, sehr viele Menschen von seelischen Defekten geplagt werden, Depressionen, Ängsten, Neurosen und Phobien. Ein oberflächlicher Blick reicht nicht aus, will man einem Leidenden, Sorgenbeladenen wirksam helfen, auch kein allgemein gültiges Rezept. Denn jeder Mensch empfindet anders, fasst anders auf, aus der individuellen Wahrnehmung heraus denkt und fühlt der einzelne. Deswegen ist Einfühlung in andere Menschen so schwierig: Wir müssen erst die Wahrnehmung des Gegenübers erkunden!

Seit Carl Rogers ist für intensive Einfühlung ein neuer Begriff eingeführt worden: Empathie. Nach Rogers bedeutet Empathie, „die private Wahrnehmungswelt des anderen zu betreten und darin ganz und gar heimisch zu werden. Sie beinhaltet, in jedem Augenblick ein Gespür zu haben für die sich ändernden, gefühlten Bedeutungen in dieser Person, für Furcht, Wut, Herzlichkeit, Verwirrung, oder was auch immer sie erlebend empfindet.“

Es gilt also, quasi „in die Haut des anderen zu schlüpfen“, mit dem Ziel, ihm dann auch wirklich ganz individuell helfen zu können, ihn dort abholen zu können, wo er wirklich steht mit all seinem Leid. Im diesem Zusammenhang ist sogar von einer „Hebammenkunst“ die Rede, damit der andere seelisch neu zur Welt zu kommen vermag.

Eine empathische Haltung widerspricht selbstverständlich allen übergestülpten Konzepten, die angeblich immer und für alle gelten. In individuellen Problemsituationen ist eine wirksame Hilfe ohne Empathie, ohne echte Einfühlung nicht möglich. Deshalb ist das Thema Empathie auch in der Geschiedenenseelsorge von großer Bedeutung.

Geschiedene und Wiederverheiratete sind übersensibel und kränkbar, und sie bleiben es wahrscheinlich ihr Leben lang. Das wird gerne vergessen. Das Tragische an vielen seelischen Leiden ist ja ihre Nichterkennbarkeit von außen: Solche sind im Leben behindert, ohne dass man ihnen ihre seelischen Beschränkungen ansehen würde. Deshalb erscheint ihr Verhalten oft unverständlich, und die meisten sind nicht in der Lage, ihre Nöte und Ängste zu artikulieren. Oft wollen sie das auch nicht und ziehen es vor, ihre Probleme zu überspielen, was für Helfer - Seelsorger, Psychotherapeuten - oft nicht leicht zu durchblicken ist.

Zur Entwicklung der Empathie

Interessant ist es, einen Blick darauf zu werfen, wie wir überhaupt zur Empathie befähigt werden. Der Mensch ist ja wie kein anderes Wesen physisch und psychisch abhängig von seinem menschlichen Umfeld. Primär durch das Elternhaus, aber auch durch das soziale und kulturelle Umfeld ist die Entwicklung des Menschen weitgehend vorgezeichnet.

Die ursprünglichste Art der Kommunikation des Menschen ist nämlich nichts Anderes als Empathie! Der Säugling erlebt die Zuwendung der Mutter einfühlend in seine Bedürfnisse, also empathisch. So wird es ihm ermöglicht, seine eigenen Gefühle im Spiegelbild der Mutter zu erspüren und somit auch zu gestalten. Das immer wiederkehrende Entgegenkommen der Mutter bewirkt eine Förderung der empathischen Sinnesentwicklung des Kindes.

Diese Entwicklung kann allerdings gestört werden, und zwar dann, wenn das Kind zu vielen störenden Umwelteinflüssen ausgesetzt und ständig überfordert wird, d.h., einer Reizüberflutung ausgeliefert ist. Dann macht es sehr früh schon die Erfahrung der Hilflosigkeit, des hilflosen Ausgeliefertseins anstatt des Umsorgtseins. Solche Menschen neigen im Erwachsenenalter dazu, bei anderen Signale der Hilflosigkeit - also gegenüber Kranken, Problembeladenen - zu verachten. Selbstverständlich ist dadurch auch ihre Fähigkeit zur Einfühlung blockiert, ja Empathie bedeutet für solche Menschen so etwas wie Schwäche, die sie verachten und deshalb vermeiden müssen - nicht zuletzt deshalb, weil sie sie an ihre eigene Hilflosigkeit erinnert, die sie fliehen müssen.

Grenzen der Empathie

Wir alle kennen aus den Medien Bischof Kräutler aus Vorarlberg, der sich mit empathischer Hingabe um die Indios und Kleinbauern in Brasilien bemüht. Bestimmt zweifelt niemand daran, dass seinem Einsatz eine tiefe Einfühlung in die Befindlichkeit seiner Schützlinge zu Grunde liegt. Wenn ich nun frage: Ist dieser Bischof wirklich so empathisch? Was tut er denn für die Obdachlosen in Wien? Dann wird klar, dass Empathie ihre Grenzen hat: Kein Mensch kann alles tun, jede/r hat ihre/seine Berufung zu erkennen und dort zu wirken. Und kein Mensch ist Gott für alles verantwortlich.

Es ist deshalb nahe liegend, dass empathische Menschen einseitig zu wirken vermögen. Denn Tiefe geht oft auf Kosten der Breite, und je intensiver ich mich in eine Problematik einfühle, umso weniger anderen Dingen kann ich mich intensiv widmen. Vielleicht haben Sie auch gelesen, dass man Mutter Teresa und ihrer Vereinigung den Vorwurf gemacht hat, sie hätten sich „nur“ in der Betreuung der Sterbenden und verlassenen Kinder aufgerieben, es aber verabsäumt, an einer Verbesserung der politischen Strukturen zu arbeiten. - Empathie darf, ja muss dosiert werden.

Aber nicht nur auf Grund der Fülle des Angebots ist Empathie zu dosieren. Wir vermögen auch auf Herausforderungen zu stoßen, denen wir - aus welchen Gründen auch immer - nicht ausreichend gewachsen sind. Das können geografische oder finanzielle Grenzen sein. Aber auch psychische: Es kann mir etwa eine tiefsitzende Angst vor irgend etwas inne wohnen, vielleicht aus einer unbewältigten Kindheitserfahrung heraus - sagen wir z.B. eine Angst vor dem Ersticken, weil mich einmal eine Wespe in den Hals gestochen hat und ich selbst in Erstickungsgefahr gewesen bin. In diesen Fall könnte mich die Einfühlung in die Probleme eines Asthmakranken so traumatisch berühren, dass es gesunden Selbstschutz bedeutet, auf die Einfühlung in diesen Menschen zu verzichten. Es gilt also auch hier, die eigenen Grenzen auszuloten und - im Sinne der Selbstliebe - auszuwählen.

Bisher habe ich als selbstverständlich angenommen, dass Einfühlung dazu dienen soll, Menschen besser zu verstehen, um ihnen auch besser und individueller helfen zu können. Wie alle segensreichen Vorzüge birgt jedoch auch Empathie eine Möglichkeit des Missbrauchs in sich. Sie besteht in der Versuchung zur Machtausübung über andere: Durch intensive Einfühlung lerne ich einen Menschen in seinen Tiefen kennen, seinen Reaktionsweisen und Schwächen. Im Konfliktfall bin ich deshalb als empathischer Mensch besonders befähigt, den anderen geschickt zu manipulieren und subtil zu beleidigen. Im Extremfall könnte ich den Menschen, in den ich mich so tief eingefühlt habe, persönlich und beruflich systematisch kaputtmachen.

Empathie ist also nicht in sich allein immer selig machend. Sie ist in den Dienst der Nächstenliebe zu stellen unter Rücksichtnahme auf die eigenen Grenzen und unter Verzicht auf Machtausübung!

Zur Gesprächspsychotherapie von Carl Rogers

Eine international anerkannte Methode, Empathie im Sinne der Nächstenliebe einzusetzen, ist die Gesprächspsychotherapie des Amerikaners Carl Rogers. Er fühlte, dass in den bisherigen Methoden der Psychotherapie etwas Wesentliches fehlte und machte von zahlreichen Beratungsgesprächen Tonbandaufzeichnungen. In der Analyse dieser Aufzeichnungen kristallisierten sich für ihn dann drei Therapieziele heraus, die Rogers als drei Basismerkmale einer guten Therapie charakterisierte: Bedingungsfreies Akzeptieren des Klienten, Echtheit und Einfühlendes Verstehen.

Das Bedingungsfreie Akzeptieren fußt auf einer Haltung des Respekts vor dem Ratsuchenden - der Klient wird angenommen, wie er ist, in einer sachlichen Haltung und frei von Vorurteilen.

Die Echtheit bedeutet für den Therapeuten, dem Ratsuchenden in ehrlicher Offenheit und Zugänglichkeit zu begegnen. Er muss für den Klienten quasi „greifbar“ sein, darf keine undurchdringlichen Mauern um sich errichten.

Ausführlicher wollen wir uns das Therapieprinzip Einfühlendes Verstehen ansehen. Dieses geht davon aus, dass der Klient unter seinen psychischen Problemen leidet, ja ihn die Symptome zuweilen ängstigen. Oft versucht der Ratsuchende, die Symptome zu verleugnen oder zu überspielen, auch dem Therapeuten gegenüber. Ziel des Einfühlenden Verstehens ist es demnach, dem Ratsuchenden diese Widersprüchlichkeit behutsam zu Bewusstsein zu bringen, damit sich dieser den Symptomen stellen und sie zu überwinden vermag.

Das Einfühlende Verstehen beinhaltet nun auch wiederum drei Schritte: das Einfühlende Wiederholen, das Selbstkonzeptbezogene Verstehen und das Organismusbezogene Verstehen. Ich will sie kurz am Beispiel eines depressiven Patienten erklären.

Ein depressiver Mensch leidet an Symptomen wie bedrückter Stimmung bis hin zu Suizidgedanken, Antriebslosigkeit, Schlaf- und Appetitstörungen. Er hält sich für minderwertig und stellt an sich selbst überhöhte Anforderungen, denen er nicht gerecht zu werden vermag. Er ist aggressiv gegen sich selbst, ja selbstquälerisch und wertet sich selbst ab.

Im Einfühlenden Wiederholen der Äußerungen des Patienten kann der Therapeut diesem das Gefühl vermitteln, mit ihm mitzuleiden, seine Last ein Stück weit mitzutragen, was dem Patienten ein erstes Gefühl der Erleichterung verschaffen kann. Diese erste Erleichterung wird zur Grundlage für die weitere therapeutische Hilfe.

Das Selbstkonzeptbezogene Verstehen zielt nun darauf hin, in Frage zu stellen, ob das Selbstkonzept des Klienten - also wie er sich selbst sieht, wie er sich selbst erlebt - realistisch ist. Durch Fragen wie: „Sie meinen also, dass...“ oder „Sie sind unzufrieden, dass...“ wird der Patient dazu angeregt, seine eigenen Wahrnehmungen zu überdenken.

Das Organismusbezogene Verstehen berücksichtigt vor allem die Hintergründe, die zu körperlichen Symptomen führen, also besonders die Aggression gegen sich selbst, die Befindlichkeitsstörungen nach sich zieht. Hier wird versucht, die Selbstaggression nach außen zu kehren.

 

Neben der Gesprächspsychotherapie nach Rogers gibt es noch zwei Therapieformen, die ebenfalls auf Empathie aufgebaut sind: Die Christlich-integrative Therapie und die Häusliche Partnertherapie. Diese beiden sind international noch nicht anerkannt, ich halte sie aber für großartige Ansätze.


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